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ZEITSCHRIFT

FÜE

EI&LISCIE PHILOLO&IE.

BEGEÜNDET VON M. TEAtTTMANN UND E. P. WÜLKEB

HEEAUSGEGEBEN

VON

EUGEN EINENKEL.

NEBST EINEM BEIBLATT HEEAUSGEGEBEN VON MAX FE. MANN.

BAND XL. NEUE FOLGE BAND XXVIIL

3^

HALLE A. S. '

MAX NIEMEYER.

1916.

TE

BAND-INHALT.

Seite

Friedrich Brie, Imperialistische Strömungen in der englischen

literatur 1

Enrico Pizzo, S. T. Coleridge als kritiker 201

Gustav Budjuhn, Liodum is mlnum eiu ae. dialog .... 256

Otto B. Schlutter, Ae. scinn = ne. shin = nhd. schinne . . . 260

Georg Duhislav, Studien zur mittelenglischen syntax .... 263

Georg Dubislav, Studien zu mittelenglischen syntas. 11. ... 297 Paul Seyferth, In welchem Verhältnis steht H6B zu The Couten- tion betwixt the two famous houses of Yorke and Lancagter und H 6 C zu The True Tragedie of Richard Duke of Yorke, and The

Death of the good King Henrie the Sixt? 323

Otto B. Schlutter, Weitere beitrage zur alteuglischen Wort- forschung 343

F. Holthausen, Zu den Kildare - gedichten ed. Heuser (Bonner

ßeitr. XIV) 358

F. Holthausen, Vergleichung des GüÖläc-textes mit der hs. . . . 365

J. H. Kern, Hoccleve's verszeile 367

J. H. Kern, Die datierung von Hoccleve's dialog 370

J. H. Kern, Der Schreiber Offorde 374

R. Meissner, Die zunge des grofsen mannes 375

Hugo Lange, What is the Parlement of Foules? (Eine Chaucer-

notiz) 394

F. Holthausen, Zu mittelenglischen Romanzen.

I. Duke Rowland and Sir Otuell 397

II. The Sege of Melayne 402

m. Floris and Blauncheflur 408

IV. The Lyfe of Ipomydon 412

^^ BAND-INHALT.

Seite

E. Roedler, Die ausbreitung- des s-plurals im Englischen. IL . . 420

Fr. Klaeber, Zu ae. hwonne cer, Öonne (don) ar Öe 503

Otto B. Schlutter, Weitere beitrage zur altenglischen Wort- forschung gQg

Otto B. Schlutter, Sind die angaben des NED. durchaus ver-

^^^'^''^- 508

0. F. Emerson, Corrections in article on pages 495-516 of Anglia

A-ÄÄlX c-jn

blz

Gustav Hübeuer, Berichtigung . . . . 512

IMPEEIALISTISCHE STRÖ:MUNGEN IN DER ENGLISCHEN LITERATUR.

Einleitung.

Die vorliegende abhandlung sucht zu zeigen, wie seit den tagen der englischen reformation ein ununterbrochener, zu- nächst zwar nur in einzelnen erscheinungeu zu tage tretender, allmählich aber immer stärker anschwellender ström im- perialistischer ideen in der englischen literatur lebendig ist, die einmal verknüpft sind mit den jeweiligen politischen, ethischen und religiösen Zeitanschauungen, zum andern auch unter sich vielfach in einem inneren Zusammenhang stehen. Damit will diese Untersuchung einen kleinen beitrag zu einer allgemeinen ideengeschichte Englands liefern ; in den späteren partien sucht sie insbesondere auch zum Verständnis des gegeu- satzes beizutragen, der zwischen den anschauungen des Viktoria- zeitalters und denen des ausgehenden neunzehnten und des be- ginnenden zwanzigsten Jahrhunderts sich geltend macht.

Aus dem wünsche heraus lieber zu viel als zu wenig zu geben, ist der begriff Imperialismus so weit als möglich gefafst worden, so dafs er nicht nur das streben nach erweiterung der landesgrenzen , nach erwerb überseeischen besitzes, nach beherrschung der meere und nach zusammenschluls von mutter- land und kolonien umfafst, sondern auch das streben nach ausbreitung von rasse, religion, spräche, recht oder sonstiger nationaler ideen überhaupt; auch die mittel und Voraus- setzungen derartiger bestrebungen wie die lehren von der machtidee des Staates, vom nutzen des krieges oder von der allgemeinen Wehrpflicht mulsten, ebenso wie die äufserungen übertriebener Verherrlichung der eigenen nation und über- triebeneu hasses gegenüber einer fremden, vielfach in den kreis der betrachtung eingezogen werden. Die imperialistische

An^lia. N r. XSYin. 1

2 FRIEDRICH BRIE,

Politik Englands ist ebenso wie die rein patriotische literatur und die literatur der zeitung-en und Zeitschriften nur so weit berücksichtigt worden, als zur erklärung der zusammenhänge erforderlich schien, für die neueren perioden naturgemäfs in gröfserem umfange als für die älteren, i)

I. Altertum und mittelalter.

§ 1. Zu jeder zeit und an jedem orte hat ein volk, das sich für grols hielt, imperialistische gedankengänge gezeitigt. Eufs- lands grofser Imperialist, Dostojewski, ist so weit gegangen zu erklären, dafs jedes grofse volk glaubt und glauben mufs, dafs in ihm und nur in ihm allein die rettung der weit liegt, dafs es blofs lebt, um an die spitze aller Völker zu treten und sie zu dem letzten ziel, das ihnen vorbestimmt ist, zu führen, und dafs der grofse eigendünkel, der glaube, dafs man das letzte wort der weit sagen will und kann, das Unterpfand des höchsten lebens einer nation sei. Dostojewski's annähme wird dadurch gestützt, dafs der gedanke der duldung eines nebeneinander mehrerer grofser Staaten immer die ausnähme gewesen zu sein scheint. Schon ein blick auf die geschichte des altertums lehrt als den gewöhnlichen fall den, dafs eine nation, sei es die persische, die makedonische oder römische, danach strebt, alles unter ihrer herrschaft zusammenzufassen. Als die träger dieser idee, werden wir uns bald den herrscher, bald die politiker, bald die priester, bald die dichter, in

*) Das hier bebandelte tbema ist gegenständ einer spezialuntersucbung bisber nocb nicbt geworden. Mannigfacbe anreguug und belebrang bat der Verfasser von zwei scbrifteu empfangen, die sieb im stoff mit der seinigeu berühren, von dem bekannten werke von G. v. Scbulze-Gaevernitz, Britiscber Imperialismus und englischer Freihandel zu Beginn des zwanzigsten Jahr- hunderts (Leipzig 1906), und von Esme Wingfield's umfangreichen, aber stark dilettantischen und von einseitig torystischem Standpunkt geschrie- benem buche The History of English Fatriotism (London 1913); für die neuste zeit konnte auch noch der Inhal treiche aufsatz von G. Sarrazin, Der Imperialismus in der neueren englischen Literatur (Internationale Monats- schrift für Wissenschaft und Technik, Jahrgang 9, Heft 11, Juni 1915) herangezogen werden.

IMPERIALIS 1 ISCHE STKOMUNüEN IN DKR ENGL. LITERATUR. 6

manchen fällen sogar eine breite Schicht des Volkes vorzu- stellen haben. Bald wird der dichter dem politiker voraus- eilen, bald das volk dem politiker, bald der politiker dem Volke. Jeder dieser stände wird auf grund anderer erwägungen die idee ergreifen und sie auch verschiedenartig interpretieren. In älteren zeiten werden wir oft nicht feststellen können, wann und wo die idee zuerst auftaucht; oft wird der mund des dichters oder Schriftstellers für uns die einzige oder die erste quelle darstellen. Noch in moderner zeit spielt er als interpret des imperialistischen gedankens eine solche rolle, dafs wir ihm hier eine besondere Veranlagung oder hellhörigkeit kaum w^erden absprechen können und vielleicht sogar die behauptung werden wagen dürfen, dafs wo in moderner zeit imperialistische gedaukengänge überhaupt vorhanden sind, uns in den meisten fällen die literatur des betreffenden landes Avie eine art baro- meter das entstehen, das Wachstum und das schwinden der bewegung anzeigt, ja wir werden gelegentlich mit der erschei- nung zu rechnen haben, dafs der dichter die idee aufgreift, ehe sie dem berufspolitiker, dem zu oft gesichtspunkte der nützlichkeit die bahn der gedanken bestimmen, oder der nation bewulst wird.

Unter den alten literaturen ist die griechische die erste, von der wir wohl annehmen können, dafs sich unter dem ge- waltigen erbe, das sie den modernen Völkern hinterlassen hat, auch imperialistische gedaukengänge finden. In der tat fehlt bei dem bilde des Weltherrschers, das Xenophon in der Cyro- paedie von dem alten Perserkönig Cyrus entwirft, auch nicht der anspruch des vollkommenen fürsten auf Weltherrschaft. Aber nicht Cyrus, sondern erst Alexander der Grolse, der die monarchischen ideen dreier verschiedener antiker Völker, der Griechen, Perser und Juden, zu einer neuen idee vom welt- herrscher verschmolz, bildet den ausgangspunkt einer imperia- listischen Strömung, die tief bis ins mittelalter hineinreicht. Das bild Alexander des Grofsen, den das orakel des Jupiter Amnion in der wüste zum gott proklamierte, der von den griechischen dichtem mit Heracles und Dionysos verglichen wird, und den die Juden zum Messiaskönig erheben, der wieder- kehren und das reich des friedens heraufführen soll, pflanzt sich bei den Völkern des Orients und Occidents fort, vor allem zu den Römern, wo Vergil das messianische kaisertum

1*

4 FRIEDRICH BRIE,

des Augustus mit anknüpfung an die Alexandertradition ver- kündet. ^)

Die bedeutung-, die der römische impeiialismus für alle späteren imperialistischen ideen hat, nötigt uns, bei Rom einen augenblick länger zu verweilen. Nicht nur weisen schon die w^orte Imperium und imperialismus von vornherein auf die rolle der römischen Institutionen hin, nicht nur knüpfen alle imperialistischen ideen des mittelalters an Rom an, sondern auch die mehrzahl der modernen Imperialisten, voran die Ver- treter Englands, arbeiten mit analogien, die von römischen Ver- hältnissen hergenommen sind. Das gilt für Bacon, Milton und Harrington so gut wie für Dryden und Kingsley oder endlich den historiker unserer zeit, der die Verleihung der selbstver- Avaltung an die ehemaligen Burenrepubliken mit Caesar's Ver- leihung von rechten an die besiegten Gallier vergleicht,-) "Civis Romanus sum" ist ein Schlagwort von Palmerston, "Imperium et libertas" ein Schlagwort von Disraeli gewesen.

Im alten Rom haben wir die beiden formen des imperia- lismus, die uns auch in der geschichte Englands wiederbe- gegnen, eine ältere, lediglich auf die Unterwerfung fremder länder ausgehende und eine spätere auf einen zusammenschlufs der kolonien mit dem mutterland abzielende. Bis zum dritten Jahrhundert nach Christus ist allein die erste vorhanden, und dominiert politisch und rechtlich der gedanke des erobernden Stadtstaates. Nur wer diesem angehört, zählt mit seinen nachkommen zu den cives Bomani. Die kolonien werden wie die heutigen kronkolonien Englands von der zentrale aus be- herrscht und der römische bürger, der sich in ihnen aufhält, hat so wenig gefühl für das land wie heute der englische kaufmann oder beamte in Indien. Nur diese form des politi- schen imperialismus, nicht die späte, die alle bewohner des römischen reiches, also auch die unterworfenen als cives Ro- mani als angehörige Roms und der römischen staatskirche zusammenfafst , findet eine wiederSpiegelung in der römischen literatur, im gegensatz zur englischen, wo, wie wir sehen

^) Vgl. F. Kampers, Alexander der Grofse und die Idee des Welt- iraperiums in Proplietie uud Sage. Freiburg 1901.

-) J. A. Cramb, Germany and England, London 1914.

IMPERIALISTISCHE STRÖMUNGEN IN DER ENGL. LITERATUR. 5

weiden, in späterer zeit gerade der gedanke des Zusammen- schlusses die dichter bewegt.

So lange Kom republik ist, scheint die idee des weitreiches noch zu schlummern. Nur ein unterworfener Grieche, Polybius, erfafst schon im zweiten Jahrhundert vor Chr. den gedanken, dafs Eom zur Weltherrschaft berufen sei und stellt in seinem grofsen geschichtswerk seinen von Rom unterworfenen lands- leuten die römische Weltherrschaft als folge der tüchtigkeit der Eömer und der vortrefflichkeit der römischen Verfassung dar. Zu den römischen dichtem selbst gelangt die idee der Weltherrschaft erst im Zeitalter des Augustus auf dem umwege des Alexanderkultus, weshalb bei ihnen auch von anfang an monarchische idee und reichsidee als unzertrennbar, in stän- diger Wechselwirkung erscheint. Sie geben dem imperialisti- schen gedanken bereits einen so vollendeten ausdruck, dafs über das mittelalter hin bis zum heutigen tage immer wieder imperialistisch gerichtete Politiker und dichter, nicht zum wenigstens die Englands an ihre worte angeknüpft haben, i)

Virgil in seiner Aeneis (29 19 v. Chr.) schildert den kaiser als den Wohltäter und retter der weit. Mit grofser kühnheit Avird die gegenwart in die Vergangenheit projiziert, Augustus mit seinem ahn Aeneas verschmolzen und der unter göttlicher leitung stehende Aeneas zu einer Verkörperung des Römer- tumes überhaupt gemacht. In den viel zitierten versen des Anchises an seinen söhn Aeneas (buch VI 851 ff.) wird die weltbürgerliche monarchische mission Roms verkündet:

Du bist ein Römer, dies sei dein beruf: Die weit regiere, denn du bist ihr herr, Dem frieden gib gesittung und gesetze, Begnad'ge, die sich dir gehorsam fügen, Und brich in kriegen der rebellen trutz.

Wenige jähre später ruft Horaz in seinem Carmen saemlare, dem prozessionsliede vom 3. Juni des jahres 17 v. Chr., das von einem doppelchor von dreimal neun knaben und mädchen auf dem palatin und dem kapitol gesungen wurde, die sonne

') Einige angaben über imperialistische ideen bei römischen dichtem finden sich in Vergil's Aeneis buch VI, erklärt von E. Norden (1903) s. 329. Ganz oberflächlich ist das werk von Tenney Frank: Roman Imperialism (1914) ; auch die schrift von Sir C. P. Lucas : Greater Rome and Greater Britain, Oxford 1912, bietet nur unbefriedigende äufsere parallelen.

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6 FRIEDRICH BRIE,

an, die niclits grölseres sehen könne als die Stadt Rom.') Wenige jähre später verherrlicht Ovid im 15. buche der Meta- morphosen die reg'ienmg von Julius Caesar und Augustus und spricht (v. 735) von der Stadt Rom als dem ca2mt rerum. 2)

§2.

Später als bei andern modernen nationen sind in England, das heute so gern als das klassische land des imperialismus bezeichnet wird, imperialistische ideen nachweisbar. Den Angelsachsen, die kein eroberervolk waren, sich vielmehr selbst der Skandinavier zu erwehren hatten, sind sie völlig fremd. Auch in der zeit der Normannenherrschaft fehlen sie naturgemäfs so lange, als die angelsächsischen und normanni- schen bevölkerungsteile noch nicht zu einer einheitlichen nation verschmolzen sind. Aber auch später ist die englische nation zunächst zu klein, um im völkerkonzert neben einem Staate wie dem Deutschen Reiche etwa eine nennenswerte rolle zu spielen. Wir müssen uns erinnern, dafs Heinrich II. bei ge- legenheit des reichstages zu Würzburg (1157) in einem schreiben sein königreich England und alle seine besitzungen dem kaiser- lichen willen Friedrichs I. unterstellt und dals Richard Löwen- herz auf dem reichstag zu Mainz (1194) England von kaiser Heinrich VI. als lehen empfängt, wobei alle englischen Unter- tanen dem kaiser den eid der treue leisten müssen. Obwohl auch die Engländer, wie die anderen abendländischen nationen, im zwölften Jahrhundert ganz allgemein ihren Stammbaum von den Trojanern und zwar von dem Trojaner Brutus, einem Urenkel des Aeneas, ableiten, taucht doch niemals in Verbin- dung damit der gedanke auf, dafs damit die Engländer die erben der Römer und des römischen weitreiches seien. Von einem irgendwie lebhafteren Patriotismus kann man in Eng- land erst von der zeit Eduards I. (1272 1307) ab reden, aber schon die mifs Wirtschaft seines nachf olgers Eduard IL bringt

^) Tb. Mommsen, Die Akten zu dem Säkulargedicht des Horaz (Reden und Aufsätze s. 351 Üf.).

2) In späterer zeit lassen sich etwa in der "Römischen Geschichte"' des Dio Cassius (geb. ca. 150 u. Chr.) mauclierlei äufserungen finden, bei denen der Verfasser imperialistische ideen seiner zeit in die des Angustus zurück- datiert (buch 52, kap. IG, 19, 30, 34; buch 53, kap. 11).

IMPERIALISTISCHE STRÖMUNGEN IN DER ENGL. LITERATUR. 7

einen rückschlag-. Unter Eduard III. (1327 77) finden die erfolge der Engländer gegen Schotten und Franzosen wohl einmal einen feurigen interpreten in dem dichter Laurence Minot, aber sogleich erfolgt wieder mit der regierung EichardslI. der niedergang, der durch die gestalt des pessimistischen re- ligions- und Sozialreformers Wyclif gekennzeichnet wird, Wohl zeitigen die glänzenden siege Heinrichs Y. (1418—22), vor allem x4zincourt, einige bedeutsame patriotische äufserungen, aber die hochfliegenden plane des königs, die christenheil im orthodoxen sinne zu einigen und die ungläubigen aus Palästina zu vertreiben, finden in der poesie der zeit kein entsprechendes echo. Konnte doch auch die kurze glanzzeit unter Heinrich V. nicht darüber hinweg täuschen, dafs man sich auf der absteigenden linie befand und sich der zeit der selbstzer- fleischenden bürgerkriege näherte. So kommt es, dafs nur eine einzige dichtung der mittelenglischen literatur, das "Büchlein von Englischer Staatsklugheit" (The Libell of Englishe Policj^e 1436), i) ein anonymes politisches mahn- gedicht in gereimten fünfhebern aus der regierungszeit Hein- richs VI., eine färbung zeigt, auf die man vielleicht schon das wort imperialistisch anwenden kann. Zum ersten male wird hier in der literatur die f orderung, die im 16. und 17. Jahrhundert in den mittelpunkt aller imperialistischen be strebungen Englands tritt, die unbedingte herrschaft über die see ausgesprochen, hier allerdings in der hauptsache noch in der form der beherrschung des kanals als zugangs- stralse. Der Verfasser knüpft an die historischen tatsachen an, dafs seit der eroberung von Calais durch Eduard III. die englischen köuige sich als Domini maris et transmarini passagii bezeichnen und dafs auf den seit Eduard III. ge- prägten nobelstücken die seeherrschaft Englands im bilde verherrlicht werde, während, in Wahrheit England von allen Seiten durch rivalen bedroht sei. Nachdem er ausführlich der reihe nach diese nebenbuhler, die seefahrenden kauf- leute aus Spanien, Flandei'u, der Bretagne, den Hansastädten, Genua, Venedig etc. samt ihren waren und ihren England entgegenarbeitenden bestrebungen zur see vorgeführt hat,

^) Hg. samt einer metrischen übersetziuig aus der feder W. Herzberg's von Reiuhold Paiüi, Leipzig 1878.

8 FRIEDRICH BRIE,

fafst er (v. 810 if.) den zweck seiner ganzen handelspolitischen darlegung zusammen :

Und nun bin ich am sclihifs mit all den waren Um die es not tut unsre see zu wahren. Sie zieht gen ost, west, nord und süd sich her; Am schärfsten aber wahrt das enge meer Zwischen Calais und Dover, dergestalt, Dafs feinde nie durchdringen mit gewalt, Dafs sie sich fügen uuserm machtgebot, Von unsern kästen und Calais bedroht. 0

Wie er auf dem nobel dargestellt ist, soll der könig (v. 858 ff.)

als herr rings auf dem meere walten, Im zäum die feinde drin und draulsen halten Und heifsen durch die ganze Christenheit Des meeres herr und meister weit und breit.

Auch die seemännische Vergangenheit Englands wird als gegen- satz zu dem gegenwärtigen bedrohlichen zustande herange- zogen. Aus den ruhmestaten der englischen flotte unter dem Angelsachsen Eadgar zieht der Verfasser (v, 944 ff.)

den schlufs, Dafs uns das meer ringsum gehören mufs Und sich dem könig untertänig zeigen, Dass er darüber schalte als sein eigen

und mit dem flottenbauer Heinrich V. schliefst er (v. 1049 ff.)

dies buch. Drin ich die wahre staatskunst aufgedeckt: Den schütz der see, der sieg und macht bezweckt.

War er zum zweck, den er sich vorgenommen, Mit seinen grofsen schiffen nur gekommen, So zweifl' ich nicht, dafs er geworden wäre: Der herr und meister ringsum auf dem meere. Er hätt' es sicher vor dem feind bewacht, Uns reich gemacht und es dahin gebracht, Dafs auf dem meere sich, ohne dafs er's wollte Und es erlaubte, niemand rühren sollte.

Dieser eigentümliche mangel an weltherrschaftsträumen und sonstigen imperialistischen gedankengängen, der der eng-

1) Thau here I ende of the commoditees

For whiche nede is wel to keep the sees; Est and weste, south and northe they be; And cheefly keep sharply the uarow see &c.

IMPEKIALISTISCHE STUÖMUNGEN IN DER ENGL. LITERATUR. ü

lisclieu literatur im mittelalter anhaftet, tritt in seiner ganzen bedentung erst hervor, wenn man damit vergleicht, wie wäh- rend dieser zeit auf dem kontinente die imperialistischen ideen eine mächtige ausbildung bei kaiser und papst erfahren, die beide mit ihrem anspruch über die abendländische Christenheit zu gebieten ein umyersalistisches oder imperialistisches prinzip vertreten. ') In beiden fällen liegt eine direkte Übertragung der imperialistischen ideen des kaiserlichen Roms der späteren christlichen Jahrhunderte vor. Das auf römischem boden er- wachsende Christentum hatte die idee der römischen Weltherr- schaft übernommen und dafür die idee eines grölseren die ganze menschheit umfassenden reiches gottes auf erden gesetzt. Bei den deutschen kaisern erwachte im laufe der zelten immer stärker das bewufstsein, als erben und Oberhäupter des christ- lichen römischen Weltreichs zur herrschaft über alle Völker der erde berufen zu sein und von der pflicht, das werk der bekehrung fortzusetzen, d. h. zu erobern. Dazu kommen die direkten erinnerungen an die römischen Imperatoren, und bald spiegelt auch die literatur der zeit diese ansprüche auf Welt- herrschaft wieder. Schon einer der Salier, Heinrich III (1039 1056) wird in lateinischen gedichten als weltherrscher ge- feiert, aber von einer zielbewufsten Vertretung des weltherr- schaftsgedankens innerhalb der literatur ist erst im Zeit- alter der Hohenstaufen die rede. Dieser schliefst sich vor allem an die glänzende gestalt Friedrichs I, (1152 90) an, der sich nicht nur selbst völlig als weltherrscher fühlte, sondern auch beanspruchte, dals alle andern königtümer, auch das kaisertum von Bj^'zanz, ihm Untertan sein sollten, auf dem reichstag zu Dole (1162) die könige von England, Frankreich, Spanien und Ungarn provinciarum reges nannte und als nachkomme der Römer von Saladin die i äumung aller länder des alten Römer- reiches verlangte.

Wie wir schon oben an den beispielen der englischen könige Heinrich II. und Richard Löwenherz sahen, fügten sich die fremden herrscher diesen ansprüchen. Ein zeitgenössischer

^) Vg'l. zum folgeudeu: 0. Hintze: Imperialismus uud Weltpolitik. Deutsche Büclierei, bd. 100, 101. F. Kampers: Kaiserproplietien uud Kaisersagen im Mittelalter. München 1895. F. G. Schultheiss: Geschichte des deutscheu Nationalgefühls I, 1893.

10 FRIEDRICH BRIE,

englischer Schriftsteller, Johann von Salisbiiry, fragt entrüstet: " Wer hat die Deutschen zu richtern der Völker gemacht, wer hat diesen plumpen und wilden menschen das recht gegeben, nach Willkür einen herrn über die häupter des menschenge- schlechtes zu setzen?" Von deutschen dichtem vertritt der Verfasser des "Grave Kudolf" (ca. 1170) sehr deutlich die an- sprüche des kaisers als Oberhaupt über alle andern könige, während der sogenannte Ligurinus in lateinischer spräche Friedrich I. als den grölsten der könige und das licht der weit verherrlicht und dessen kaiserliche würde nicht von der Verleihung durch den papst, sondern aus der idee von der fortdauer des römischen reiches herleitet. Noch imperialisti- scher mutet uns der Inhalt des lateinisch geschriebenen Tegernseer Osterspieles vom Antichrist an, wo auf grund der tatsache, dals einst die ganze erde den Eömern gehörte, alle möglichen könige, so der französische und griechische, selbst der von Jerusalem sich dem kaiser unterwerfen. ') Einen glänzenden anwalt fand die imperialistische idee des kaiser- tums noch einmal in Dante, der wohl gegen ende seines lebens in seiner schrift über die monarchie (De Monarchia ca. 1320?) den gedanken einer von gott gewollten und von gott den Eömern und damit auch dem römischen kaiser übertragenen w^eltmonarchie vertrat und die gewalt dieses kaisers für unab- hängig vom papste erklärte. 2)

In der Zwischenzeit aber war bereits das kaisertum der Staufen mit seinen weltmachtsansprüchen von dem papsttum überwunden worden, das in ganz ähnlicher weise den welt- herrschaftsgedanken über die abendländische Christenheit ver- trat, doch ist die Verherrlichung der päpstlichen weltherr-

^) Über die erwartuugeu, die sich an Friedricli IL knüpften, vgl. Kampers a. a. 0. s. 92 ff. Die imperialistischen gedankengänge des deut- schen mittelalters sind heute wieder aufgenommen worden von Alfons Paquet in der schrift, Der Kaisergedanke, Frankfurt 1915.

2) Auch in Frankreich finden bereits um 1300 imperialistische Strö- mungen ihren ausdruck in der lehre, dafs die französische herrschaft ein segen für die Völker sei und diese infolgedessen von ihren eigenen tyranni- schen fürsten befreit und dem könig der Franken Untertan werden müfsten. Vgl. den aufsatz von A. 0. Mej'er, "Die Wurzeln der deutsch-französischen Erbfeindschaft" in dem Sammelwerk " Zum geschichtlichen Verständnis des grofsen Krieges. Vorträge von Prof. A. 0. Meyer-Kiel, Graf Ernst Reventlow- Berlin, etc." (Berlin 1916).

IMPERIALISTISCHE STRÖMUNGEN IN DER ENGL. LITERATUR. 11

scliaftsansprüclie bei den dicliterii der zeit nur selten anzu- treffen, da die literatur des mittelalters der kurie gegenüber fast durchweg eine satirische oder feindselige haltung ein- nimmt. Immerhin begegnen wir schon um 1200 auf englischem boden in der Poetria nova des Normannen Galfrid von Yinesauf (Galfridus de Vino Salvo) einer Verherrlichung Innocenz's III. und des papsttums. Innocenz ist hier gleichsam die einzige sonne der weit und Rom gleicht dem himmel ; der papst steht zwischen gott und dem menschen; gott hat ihn sich zum ge- nossen erwählt und mit ihm die weit geteilt, indem er ihm die erde übergab, i) Mehr den gedanken der plenitudo po- testatis des papstes, der als monarch an der spitze der reiche und der weit steht, vertritt das Carmen de statu ciiriae Ro- mauae des magister Heinrich von Würzburg (vor 1265), das in seiner Verherrlichung Roms und des papstes so Aveit geht, dafs man schon im mittelalter Ironie dahinter vermutet hat und auch heute noch wegen einiger stellen der ernst der dar- stellung in frage gezogen wird. 2) Nach dem Carmen (v. 83— 106) herrscht in Rom das goldene Zeitalter; aus allen hindern der weit werden die waren nach Rom geschafft; beide pole der erde dienen Rom. Der Papst selbst (v. 661—882) wird als Elias, Simson und Herkules, der dem Atlas die erdkugel abnimmt, besungen und als leuchte, die weithin den erdkreis bescheint. Bonifaz VIII. und seine plenitudo potestatis feiert endlich auch ein ungedrucktes lateinisches gedieht aus dem anfang des 14. Jahrhunderts von dem prokurator des königs J ayme IL von Arragonien, Johannes Burgundi. ■')

II. Das 16. und 17. Jahrhundert.

§ 1. Ein ähnlich hoher, romantischer flug, wie ihn der gedanke von der Weltherrschaft des kaisers und des papstes im mittel- alter zeigt, war dem englischen Imperialismus erst viel später

') Vgl. Grauert, Magister Heinrich der Poet in Würzburg-, Abbaiidl. d. Bayrischen Akademie der Wiss., Bd. 27, Miiuchen 1912, s. 52 ff.

2) Vgl. Grauert a. a. 0. s. 192 ff.

3) Ein stück davon ist gedruckt bei Fincke. Acta Aragonensia I, s. CXXXIV ff.

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im 17. Jahrhundert beschieden, doch treten die ersten bedeut- samen imperialistischen ideen bereits früher auf, und zwar bezeichnender weise in dem augenblicke, wo weltliche und kirchliche macht sich in einer band vereinigen , d. h. mit der Vollziehung- der reformation durch Heinrich VIII. Während in Deutschland die reformation durch die Spaltung*, die sie in die nation hineinbrachte, etwaigen imperialistischen Strömungen keinerlei förderung bieten konnte, schuf sie in England einen glänzenden nährboden, indem einmal der gröfste teil des landes ihr beitrat und damit die nation mit einer bestimmten kirche sich identifizierte, zum andern auch noch die würde des reli- giösen Oberhauptes vom papst auf den eigenen herrscher über- ging. Damit aber fiel die sache des monarchen mit der der ganzen nation, Avenn nicht mit der der ganzen Christenheit zusammen.

Die politische Stellung Englands in Europa war indessen zur zeit der reformation noch keine derartige, dafs herrscher und Volk sich der bedeutung und der etwaigen folgen dieses Schrittes im sinne imperialistischer ansprtiche bewufst geworden wären. Erst die historiker des 19. Jahrhunderts, voran Froade, sind es gewesen, die aufgedeckt haben, dafs im Zeitalter Hein- richs VIII. die grundlagen der späteren englischen Weltherrschaft beschlossen liegen. Die zeit selbst weifs nicht viel davon. Wohl bricht einmal einer der ref ormatoren , Thomas Becon (1512 67), in seiner schrift von der "Politik des Krieges" (TAe Folicy of War) in der einleitung, die in schwungvoller, der bibel nachgeahmter rede von der notwendigkeit handelt, sein Vaterland zu lieben, in die stolzen worte aus : What Kingdom in the ivorld is to he comparcd unto this our Emjlish Empire ?, und wohl stellt er gleich danach fest, dafs nie ein herrscher sich ähnlich um die Sicherheit seines landes bemüht hätte wie Heinrich VIII., aber von einem streben nach ausbreitung oder eroberung ist nichts zu erkennen; vielmehr gipfelt die ganze schrift in der theologischen tendenz, dafs man beständig zu gott um errettung und erhaltung beten müsse.

Erst das Elisabethzeitalter zeigt in einer ganzen reihe seiner Vertreter jenen selbstbewulsten Patriotismus, der ganz von selbst imperialistische färbung annimmt. Als grundlage ist in den meisten fällen der englisclie protestantismus puri- tanischer richtung herauszuerkennen, dem wir bis in das

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zwanzigste jahrliimdert hinein immer wieder als einem der wichtigsten träger des englischen imperialismus begegnen werden. Schon in den siebziger jähren des 16. Jahrhunderts kann man bei hochstrebenden Politikern wie dem dichter Sidney von imperialistischen gedankengängen reden, die sich auf grund eines religiös gefärbten gemeinschaftsgefühls mit den andern protestantischen nationen auf eine Vorherrschaft des Pro- testantismus in Europa und einen bimd der protestantischen fürsten richten, aber die defensivpolitik Elisabeths liefs weder taten noch laute äufserungen nach dieser richtung hin auf- kommen. Die eben erwähnte tatsache, dafs die politik der Elisabeth eine reine, oft sogar zaghafte defensivpolitik war, erklärt auch die auf den ersten blick so überraschende er- scheinung, dafs die imperialistisch gerichteten dichter und Schriftsteller der zeit mit ihren planen nicht an die person der königin anknüpfen. Wohl gibt es kaum einen dichter, für den nicht die gröfse Englands mit der seiner herrscherin zusammenfiele und der ihr daher nicht irgendwie mit worten schmeichelte, aber das lob ist ein konventionelles, ist auf die persönlichen Vorzüge und tugenden wie Schönheit, keuschheit oder klugheit beschränkt. Keine enthusiastischen hoffnungen knüpfen sich an sie; niemals wird sie als die herrscherin ge- feiert, die eine neue zeit heraufgebracht hätte oder an deren taten sich träume einer Weltherrschaft knüpften. Was von imperialistischen gedanken sich findet, knüpft vielmehr an die äufsere, günstige insellage Englands an, an seinen wirtschaft- lichen aufschwung, die überseeischen erwerbungen und die ge- stalten seiner kühnen Seefahrer.

So schildert der junge Lyly im zweiten teile seines Euphues (1580) in der epistel des beiden, die den titel trägt Euphues Glasse for Europe^) England als das thrise happy England, das hlessed Islande, das vollkommenste land der weit. Die kleine insel England ist ein muster für Europa und die ganze weit (s. 202) ; London übertrifft an Schönheit seiner bauten, an reichtum und reichhaltigkeit aller dinge alle Städte in der weit, so dafs es die Vorratskammer und der markt von ganz Europa genannt werden darf. Was uns an dieser langen epistel, die einen einzigen grofsen hymnus auf

') Works ed. Bond II, 191—216.

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England und seine königin darstellt, aber besonders interessiert, sind die puritanisch gefärbten töne, die England als das aus- erwählte land gottes feiern, die hier zwar nur ganz vereinzelt erklingen, aber doch deutlich schon auf den späteren purita- nismus des 17. Jahrhunderts hindeuten: "Gott hat stets eine solche zärtliche fürsorge für England gezeigt wie für ein neues Israel und ein auserwähltes volk." "0 gesegneter friede, 0 glückliche herrscherin, o gesegnetes volk : der lebendige gott ist allein der englische gott, wo er den frieden errichtet hat, der fülle an allem bringt, eine jungfräuliche königin gesalbt hat ..." "Diesen frieden hat der herr durch seine grolse und unaussprechliche gute seinem auserwählten englischen Volke erhalten."') Zwei Jahrzehnte später bezeichnet auch der bedeutendste theologe des Elisabethzeitalters, Richard Hooker (1554? 1600), ein ausgesprochener gegner der puri- taner, die englische nation als eine nachbildung des alten von gott auserwählten Volkes, weil auch bei ihr, zum unterschied von den antiken Völkern und der römischen kirche, staat und kirche ein und dasselbe volk unter ein und demselben ober- haupte bedeuteten. 2)

Nicht nur schliefst sich an Lyly eine ganze schar von nachahmern an, die in ähnlicher weise in ihren romanen England und seine herrscherin verherrlichen, 3) sondern die Verherrlichung Englands als des edelsten landes der w^elt tritt auch bei den selbständigen geistern der zeit hervor. Wenn in Greene's roman "Aleida" (1588) der Verfasser an einer insel

>) So tender a care hath he alwaies bad of that England, as of a new Israel aud peculier people (205). 0 blessed peace, ob bappy Prince, 0 fortunate people: Tbe lyuing God is onely tbe Englysb God, wber be batb placed peace, wbicb bryngetb all pleutie, annoynted a Virgin Queeue . . . (210). Tbis peace batb tbe Lorde coutiuued witb great and vnspeakeable gooduesse amonge bis cbosen people of England (211).

-) In seiner Ecclesiastical Polity, im 8. bucbe, das ca. 1600 verfafst, aber erst 1648 gedruckt wurde : " In a word, our State is according to tbe pattern of God's own ancient elect people, wbicb people was not part of tbem tbe Cominouwealtb and part of tbem tbe Cburcb of God, but tlie self-saiue people, wbole and eutire, were botb uuder one chief Governor, ou wbose supreme autbority tbey all depend."

3) Stepben Gosson im Epbemerides of Pliialo (1580), Munday im Zelauto (1580), Wbetstone im Heptameron (1582), Riebe im zweiten teil des Simo- uides (1584).

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scliiffbruch leidet, wird diese beschrieben als imich likc that faire England, tlie floiver of Europe. Das ist derselbe ge- steigerte Patriotismus, der uns wenige jähre später auch aus Shakespeare's königsdramen entgegentönt und seinen gipfel- punkt in den worten John of Gaunt's (Rieh. IL, II, 1) findet, wo er von England spricht, als dem gekrönten eiland, dem zweiten eden, dem kleinod, in die silbersee gefafst, die es wie eine mauer oder ein graben vor weniger beglückter länder neid beschützt, und von Englands söhnen, die für ihre taten des Christendienstes und der wahren ritterschaft berühmt sind bis zum heiligen grab im land der Juden. Mag auch nur ein ganz leiser imperialistischer zug durch diese worte hindurchgehen, sie sind ein Wahrzeichen der späteren imperialisten geworden, die bis zu Swinburne hinauf nicht müde werden auf sie zu ver- weisen und sie für ihre zwecke zu gebrauchen, indem sie einst und jetzt vergleichen.

Ein zielbewufster imperialismus knüpft sich dagegen natur- gemäfs an die überseeischen eroberungen Englands an, die vor den äugen der menge phantastische möglichkeiten des erwerbes von land, schätzen und rühm auftaten. Schon im Zeitalter der Maria hatte eine bedeutende persönlichkeit, zugleich der erste bemerkenswerte vermittler der spanischen see- und reiselite- ratur in England, Richard Eden i) erkannt, dafs es Englands aufgäbe sei, den spanischen und portugiesischen überseeischen weitreichen ähnliche Unternehmungen an die seite zu stellen, und war demgemäfs daran gegangen, ein gröfseres werk "Die zehn Bücher von der Neuen ^^'elt oder Westindien "2) (1555) zusammenzustellen, worin er vor allem nach spanischen origi- nalen eine reihe der bekanntesten reisebeschreibungen wieder- gab, so die drei entdeckungsfalirten des Columbus, die Welt- umsegelung von Magalhaen und auch eine englische Unter- nehmung, die reise einiger Londoner kaufleute von England nach Guinea in den jähren 1553—54. Im vorwort zu diesem grofsen, innerhalb eines Jahres hergestellten werke, sucht Eden

1) Vgl. über ihn J. G. Uuderhill, Spanish Literatiire in the Englaud of the Tudors, N. Y. 1899, s. 123 ff.

■■') The Decades of the uewe workle or West India 1555. Die ueu- ausgabe von 1577 trägt den titel: The History of Trauayle iu the "West and East ludies.

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die Engländer durch hinweis auf das beispiel der Spanier zu Unternehmungen aufzustacheln und singt er das lob der wenigen Engländer, die sich bis dahin auf derartiges eingelassen hätten. Eden's name ist heute in Vergessenheit geraten über dem seines grolsen nachfolgers Richard Hakluyt, dem England zum guten teile bis heute die popularität der grofsen elisabetha- nischen seehelden verdankt. Was diese männer selbst betrifft, einen Gilbert, Hawkins, Brake oder Raleigh, so sind die beweg- griinde zu ihren Unternehmungen gewils in erster linie gewinn- sucht, in zweiter abenteuerlust und der wünsch, den gegner Spanien wirtschaftlich zu schädigen gewesen; dafs sie dabei ihre aufgäbe aber auch noch von höheren gesichtspunkten aus auffalsten, sich mehr oder minder deutlich an der aufsteigenden macht Englands begeisterten und sich in alttestamentlich puritanischer weise als eine art kreuzfahrer für den protestan- tischen glauben hielten,') würden allein Drakes briefe be- weisen, in denen er sich als von gott für seine aufgäbe aus- erwählt betrachtet. Aber weder Brake noch auch der dichter und geschichtsschreiber Raleigh können als literarische Ver- treter des Imperialismus gelten. So sehr Raleigh in seinen eingaben und denkschreiben betonte, dafs es ihm bei den planen zu seinem überseeischen unternehmen vom Jahre 1584 nicht nur auf gewinn von gold und rohmaterialien ankomme, sondern auf einen abflufs der überzähligen bevölkerung Eng- lands, auf ausbreitung und hebung der Industrie, auf Ver- mehrung der politischen macht und Verbreitung von religion und moral unter den wilden, in seinen literarischen Schriften, selbst in seiner Weltgeschichte ist von imperialistischen ge- dankengängen nichts zu finden, und wir müssen schon zu einer obskuren und literarisch wertlosen schrift wie seinem Discourse touching a Marriage hetween Prince Henry of Eng- land and a daughter of Savoy (1610) greifen , um den rich- tigen begriff von seinem unbegrenzten machtstreben zu er- halten: "Es gibt ein spanisches Sprichwort, wonach der löwe nicht so wild ist als man ihn malt. Spaniens kräfte in allen teilen der weit (aulser den Niederlanden) bleiben hinter ihrem rühm zurück; und wenn die verstorbene königin nur ihren

*) Vgl. A. 0. Meyer, England und die katholische Kirche unter Elisa- beth (1911), s. 199 ff., 269 ff.

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kriegern geglaubt hätte, wie sie ihren Schreibern glaubte, wir hätten damals das grol'se reich in stücke geschlagen und seine könige zu königen von feigen und orangen gemacht, was sie einst waren. Aber ihre majestät tat alles nur halb und lehrte den Spanier durch kleine angriffe sich zu schützen und seine eigene schwäche zu erkennen, die ihm bis zu unseren ver- suchen kaum bekannt war. Viertausend mann hätten ihm all seine häfen in Indien, durch die seine schätze hindurchgehen, zu entreifsen vermocht. Er wird in jenem teil der weit von den söhnen der eroberten mehr gehalst als die Engländer von den Iren. Wir waren ihm zur see überlegen und hatten die Holländer als helfer, die jetzt die stärksten von allen sind. Ja, wenn die königin 1588, als er seine grofse und mächtige flotte schuf, auf Vernunft gehört hätte, so würden wir alle seine schiffe und zurüstungen in seinen eigenen häfen ver- brannt haben, wie wir das später bei derselben drohenden künde in Cadix taten. Wer ihn nicht kennt, fürchtet ihn, aber abgesehen von seiner holländischen armee, die seit den Zeiten Karls V. vermehrt und geübt worden ist, ist er nirgends mächtig." 1)

Durch die kleinen erfolge Raleigh's und der anderen see- lielden dringt zum ersten male der gedanke der seeherr- sch aft und des kolonialen landerwerbes in weitere, nicht blofs militärisch oder pekuniär interessierte kreise und es entsteht ein romantischer imperialisnlus, der in den bildern eines alle meere und weitteile umspannenden Englands schwelgt. Der Wortführer dieser neuen gedanken ist der geistliche Richard Hakluyt, der zwar nie selbst eine entdeckungsreise mitmachte, aber mit einer grolsen anzahl von reisenden und geographen verschiedener nationen bekannt war, mit Gilbert und Ealeigh auf intimen fufse stand, und die mangelnde eigene anschauung durch unermüdliches lesen und arbeiten in praktischen kolonial- fragen ersetzte. So hat er etwa nach spanischem muster für eine professur für nautik und für Verbrecherkolonien in Amerika agitiert. In einer frühen schrift vom jähre 1582 über "Ver- schiedene Amerikanische Entdeckungsreisen" 2) tritt er bereits

1) Works ed. Oldys and Birch VIII, 246.

2) Divers Voyages touching the Discovery of America 1582, hg. von J. W. Jones für die Hakluyt Society 1850.

AngUa. N. F. XXVTH. 2

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als eifriger agent für eine kolonisatorische tätigkeit Englands ein und blickt nach Amerika als dem hierfür geeigneten lande; es sei an der zeit, mit Spanien und Portugal in konkurrenz zu treten und die nordwestliche durchfahrt zu entdecken. Für diese zwecke stellt er in der schrift die verschiedenen berichte über die ostküste Amerikas zusammen.

Sieben Jahre später (1589) folgt das hauptwerk The Prin- cipal Navigations , das von den wichtigeren Schiffahrten und entdeckungsreisen handelt, die die englische nation zur see und zu lande innerhalb dieser 1500 jähre gemacht hat, jenes riesige Sammelwerk, das man als das "Prosaepos der modernen englischen Nation" oder als "Sammlung heroischer Erzählungen von den Abenteuern grofser Männer" bezeichnet hat. Schon die entstehung des werkes entspringt patriotischen gesichts- punkten. Als der autor in Frankreich weilte, sah und hörte er, wie alle möglichen nationen, nur nicht die englische, wegen ihrer Unternehmungen und entdeckungen zur see gerühmt wurden, worauf er sich entschlofs, alle Unternehmungen der Engländer in chronologischer reihenfolge von den ältesten sagenhaften zelten, von den reisen und eroberungen des Briten- königs Arthur an bis zu seiner zeit hinauf in einem werke zusammenzustellen. Der dritte und für uns wichtigste teil bringt die Seefahrten von Hawkins, Drake, Oxenham, Frobisher, Gilbert, Raleigh und Candish. Nur an wenigen stellen, da, wo etwa gute berichte über Amerika überhaupt nicht von Engländern vorlagen, griff er im weiteren verlaufe auch zu spanischen und portugiesischen autoren. Die vorrede zu seinem grofsen werke orientiert uns über seinen durchaus nicht fanatischen, aber imperialistisch gefärbten Patriotis- mus. Seine hauptsorge ist die ausbreitung Englands auf alle unbekannten meere und länder, und es ist sein stolz, dafs die Engländer im aufsuchen der entlegensten ecken der weit und im umsegeln der erde allen andern nationen voraus sind. Er ist stolz darauf, dafs unter der herrschaft Elisabeths das kaspische meer die englische flagge gesehen hat, dafs Elisabeth mit dem könige von Persien über handels- privilegien verhandelt, dals englische konsuln und agenten in Tripolis und Babylon weilen und der englische handel sich bis Java und China ausdehnt. Durch die lektüre der Principal Navigations angeregt, feiert auch Thomas Nash (1567 1601)

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in seinem prosapäan auf die fischerstadt Yarmoutli. der den titel Leuten Sttiffe (1599) trägt, künigin Elisabeth als die überlegene göttin der erde, weil sie, wie einst gott den Moses zu Pharao, jetzt zum ersten mal einen englischen gesandten, William Harborne, zum sultan nach Konstantinopel gesandt und durch ihn die freilassung englischer gefangener und die durchfahrt zum roten meer und zum Euphrat verlangt habe.^)

Aber Hakluyt's imperialistische gedankengänge fanden bei den dichtem keinen weiteren ausbau. Wohl feiert der eine oder der andere von ihnen,